Das ist zu bei der Auswahl der Anwaltssoftware zu beachten:

Welches Betriebssystem soll eingesetzt werden?

Windows, macOS und Linux sind die aktuell am weitesten verbreiteten Betriebssysteme. In mehr als 90 Prozent der Kanzleien wird Windows als Betriebssystem eingesetzt. Dementsprechend ist die Auswahl der Anwaltsprogramme für macOS sehr überschaubar. Linux wird in der Regel als Server-Betriebssystem genutzt.

Hard- und Software aus einer Hand?

Die wenigsten Anwaltssoftwareanbieter vertreiben heutzutage auch Hardware. Das kann dazu führen, dass bei Problemen zunächst geklärt werden muss, ob Hard- oder Software ursächlich sind. Auch die Art der Verkabelung spielt eine Rolle. Gut beraten ist, wer einen IT-Fachbetrieb vor Ort hat, der bei Problemen schnelle Hilfe bietet. Zwar lösen die meisten Anbieter heutzutage Probleme über die Fernwartung, bei Hardwareschwierigkeiten oder notwendigem Austausch sollte professionelle Unterstützung erfolgen. Der Kauf aus dem Technikmarkt ist nur dann eine Option, wenn Kanzleiinhaber oder Mitarbeiter in der Lage sind, technische Probleme schnell selbst zu lösen.

Auswahl

On-Premise oder Cloud?

Bei den neuen Anbietern, die den Softwaremarkt aufmischen, ist die Cloud teilweise Pflicht. Andere bieten die Wahlmöglichkeit. Prüfen Sie vor der Entscheidung für die Cloud:

  • Stehen die Server in Deutschland?
  • Welches Sicherheitskonzept liegt zugrunde?
  • Erfüllt das Konzept die berufsrechtlichen Voraussetzungen?
  • Ist der Anbieter auf Anwaltskanzleien spezialisiert?
  • Garantiert der Anbieter die Übernahme von Updates auch für die Software?
  • Welches Datensicherungskonzept liegt zugrunde?
  • Wäre auch eine Private Cloud möglich?
  • Welche Kosten entstehen pro Arbeitsplatz/monatlich/jährlich?
  • Wie wird das Insolvenzrisiko des Anbieters abgedeckt?

Meine Interviewpartnerinnen aus „Einfrau“-Kanzleien, Rechtsanwältin Nina Diercks aus Hamburg und Rechtsanwältin Claudia Otto aus Frankfurt, berichteten mir, dass sie ihre Kanzleien auch deshalb so erfolgreich führen könnten, weil in der Cloud jederzeit Zugriff auf alle Dokumente bestehe.

Die Entscheidung für eine Cloud kann gerade für kleinere Kanzleien eine gute Alternative sein, um das IT-Thema auszulagern.

Welche Module sind notwendig und nützlich?

Jede Anwaltssoftware bietet die Möglichkeit, Adressdaten von Mandanten, Gerichten und Dritten zu speichern. Manche Anbieter liefern ein Gerichtsverzeichnis mit. Bei der Anlage einer Akte werden die Daten mit der Akte verknüpft. Adressdaten können beliebigen Akten zugeordnet werden. Ändern sich z. B. Anschrift oder Telefonnummer der Adresse, so werden diese Änderungen für alle Akten, mit der diese Adresse verknüpft ist, automatisch wirksam. Das birgt allerdings auch Gefahren bei Programmen, die keine phonetische Suche aufweisen: Wird z. B. eine Rechtsschutzversicherung wie die D.A.S. einmal mit Punkt und ein anderes Mal ohne Punkt erfasst, erkennen manche Systeme nicht, dass es sich um dieselbe Adresse handelt. So kommen gerade im Bereich der Versicherungen häufig Adressdubletten zum Vorschein, die mühsam und von Hand bereinigt werden müssen.

Alle Anwaltsprogramme arbeiten mit Textverarbeitung, in der Regel mit den Office-Produkten, manchmal auch mit Open Source-Programmen, mittlerweile selten mit einer eigenen (im Verhältnis zu Office abgespeckten) Textverarbeitung.

Neben der Textverarbeitung nimmt die Fristenkontrolle einen hohen Stellenwert ein. Zwar kann man mit allen Programmen Fristen und Wiedervorlagen notieren, die Rechtsprechung des BGH verlangt allerdings einen Medienbruch (vgl. Beispiel Prof. Ory bei 1.), sodass häufig zusätzlich ein Papierkalender geführt wird.

Für die Terminverwaltung werden sowohl eigene Module als auch Schnittstellen zu Outlook und anderen E-Mail-Programmen angeboten. Prüfen Sie, ob und wie eine Synchronisation von Terminen, z. B. mit dem Smartphone, möglich ist.

Die Abrechnung nach RVG bzw. nach Zeithonorar ist nicht immer Bestandteil einer Anwaltssoftware. Module zur Zeiterfassung können auch als kostenpflichtige Zusatzmodule angeboten werden.

Checkliste:

  • Ermitteln Sie anhand der Bedürfnisse Ihrer Kanzlei die notwendigen (Must-haves), die nicht zwingend notwendigen (Nice-to-haves) und die entbehrlichen Module. Bietet eine Software die notwendigen Module (z. B. Bilanzierung) nicht, fällt sie mit diesem K.-o.-Kriterium direkt aus dem Auswahlverfahren.
  • Lassen Sie sich vom Anbieter nicht sein Standardrepertoire mit den Aufgaben, die das Programm besonders gut kann, vorführen, sondern nehmen Sie aus jedem Dezernat eine Beispielakte und prüfen Sie, welches Programm die Aufgaben dieser Akte am besten löst.
  • Vergeben Sie beim Softwarevergleich für alle Einzelheiten auf einer Skala von 0–10 (nicht erfüllt bis voll erfüllt) Ihre individuelle Punktzahl. Lassen Sie Kollegen und Mitarbeiter an der Softwareauswahl teilhaben und diese ebenfalls einen Bewertungsbogen ausfüllen. So kann man sich trotz Vorlieben für die Optik oder die Bedienerfreundlichkeit (ein wichtiges Kriterium!) ein objektives Urteil über die verschiedenen Kandidaten bilden und wird staunen, dass man mit dem „Bauchgefühl“ oftmals daneben liegt.

Ist die Anwaltssoftware auch Steuerungselement?

Prüfen Sie, ob die Anwaltssoftware auch aus betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten Unterstützung bietet: Können interne und externe Stundenverrechnungssätze eingepflegt werden? Gibt es einen Vergleich zwischen Abrechnung nach RVG mit der tatsächlich aufgewendeten Zeit? Können Mitarbeiterstunden erfasst werden? Können Sie nach Empfehlungen von Dritten oder Rechtsgebieten selektieren und Mandanten in A-, B- oder C-Kriterien einordnen?

Klären Sie anhand Ihrer Erwartungen, welche Auswertungen die Software bietet.

Ist die Buchhaltung integriert?

Gibt es eine integrierte Akten- und Finanzbuchhaltung oder eine Schnittstelle zu einer professionellen Buchhaltungssoftware? Kann der Anwalt auf Anhieb erkennen, welches Honorar wann in Rechnung gestellt wurde und wie viel offen steht bzw. wann bezahlt wurde? Ist ein eigenes Mahnwesen möglich, nach welchen Kriterien?

Eine Offene-Posten-Liste spiegelt im Idealfall die Wirklichkeit wider. In der Praxis erlebt man leider, dass die Offene-Posten-Liste nicht korrekt ist, weil Rechnungen mehrfach eingebucht werden, die nicht alle abgerechnet werden können. Hier ist eine Schulung aller Personen, die damit befasst sind, unumgänglich.

Wie sicher und komfortabel ist die digitale Kommunikation?

Langsam, aber stetig verliert die Korrespondenz per Brief ihren Stellenwert. Digitale Kommunikation nimmt immer mehr Raum ein. Dabei versenden viele Anwaltskanzleien – auch mit Einwilligung des Mandanten und zwischenzeitlich seit 1. Januar 2020 auch durch die Änderung von § 2 BORA – ihre Korrespondenz per ungesicherter E-Mail. Gibt es eine Schnittstelle zum E-Mail-Programm und wie komfortabel können ein- und ausgehende Mails zur Akte gespeichert werden?

Alternative Möglichkeiten einer verschlüsselten Korrespondenz über eine Mandantenplattform bieten dem Mandanten rund um die Uhr Zugang zu „seiner“ Akte und sind auch im Jahr 2020 noch ein Alleinstellungsmerkmal, das von zu wenigen Kanzleien genutzt wird.

Vorsicht bei der beA-Schnittstelle:

Obwohl etwa die Hälfte der Softwareanbieter angibt, das beA vollständig integriert zu haben, fehlt seitens der BRAK bei allen Anbietern immer noch die rechtssichere Möglichkeit der beA-Schnittstellen, den Export von beA-Nachrichten automatisiert durch die Anwaltssoftware zu erledigen. Derzeit gibt es nur die rechtssichere Möglichkeit, Nachrichten manuell über die beA-Seite zu exportieren. Nur dann wird die erforderliche Signaturdatei für die ZIP-Datei, die beA produziert, erstellt.

Nachdem das beA im Juni 2020 durch den neuen Betreiber, die Firma Wesroc GbR, übernommen wurde, bleibt zu hoffen, dass diese Programmierung baldmöglichst erfolgt, damit das beA dann komplett über die Programme der Softwareanbieter, die beA integriert haben, genutzt werden kann.

Welche mobilen Geräte können eingesetzt werden?

Ist eine Synchronisation mit mobilen Geräten möglich? Der Anwalt liest auf seinem Smartphone seine E-Mails, nutzt die Wartezeit bei Gericht für ein Diktat und sendet dieses an seine Kanzlei oder den Büroservice. Wieder in der Kanzlei zurück, ist das Schreiben schon in der elektronischen Akte. Unterwegs mit Laptop oder Tablet, kann man auch auf die digitale Kanzleiakte zugreifen, wenn die Digitalisierung der Anwaltskanzlei vollständig umgesetzt ist.

Werden Kalendereinträge automatisch mit dem Smartphone synchronisiert, damit auch von unterwegs jederzeit ein neuer Termin abgestimmt werden kann? Viele Services stehen zur Verfügung – legen Sie also mit einer Prioritätenliste fest, was ein „Must-have“ oder „Nice-to-have“ ist.