Vor- und Nachteile der Kanzleisoftware

Wofür will ich die Kanzleisoftware einsetzen?

Bevor man sich für den Einsatz einer Anwaltssoftware oder für den Wechsel zu einer anderen Software entscheidet, sollten die Arbeitsabläufe in der Kanzlei unter die Lupe genommen werden. Eine schlechte Organisation wird durch den Einsatz einer – egal welcher – Anwaltssoftware nicht besser.

Zunächst muss geklärt werden, welche Arbeitsabläufe in der Kanzlei vorkommen und welche Bereiche durch die Anwaltssoftware unterstützt werden sollen. Erst dann kann im zweiten Schritt festgestellt werden, ob und ggf. welche am Markt befindliche Anwaltssoftware am besten für diese Zwecke geeignet ist. Dabei wird bei größeren Einheiten oft festgestellt, dass Anwalt „A“ anders arbeitet als Anwältin „B“ und diese wiederum anders als Anwalt „C“. Hier gilt es, einen Kompromiss zu finden, um einen einheitlichen Mindeststandard zu gewährleisten.

On-Premise/Public Cloud/Private Cloud

Als On-Premise bezeichnet man die bislang in vielen Kanzleien vorhandene Infrastruktur. Die Kanzlei investiert in Hard- und Software und muss sich auch um Datensicherung und Updates des Systems kümmern. Der Vorteil: Alles bleibt in der Kanzlei, eine Verbindung zum Internet ist nicht erforderlich, das System kann individuell konfiguriert werden.

Bei einer Public Cloud werden die Daten bei einem Anbieter auf externen Servern gespeichert, man greift über das Internet auf die Daten zu. Updates für Betriebssysteme und Software übernimmt der Anbieter, auch die Datensicherung gehört zu seinen Aufgaben. Die Anforderungen an die in der Kanzlei benötigte Hardware sind geringer. Wenn im Sprachgebrauch bei Anwaltssoftware von „Cloud“ die Rede ist, ist i. d. R. die Public Cloud gemeint.

Als Alternative zur Public Cloud kann in einem externen Rechenzentrum auch ein separater Server als Private Cloud genutzt werden. Je nach Ausgestaltung gibt es in einer privaten Cloud mehr individuelle Möglichkeiten als in einer Public Cloud, auf der auf einem externen Server auch andere Daten vorgehalten werden.

Welche Kosten entstehen?

In den 80er Jahren wurden für Hard- und Anwaltssoftware für vier Arbeitsplätze Kosten von etwa 50.000 Euro fällig. Hinzu kamen Schulungskosten und ein Zeitaufwand für die Schulung von mindestens zwei Wochen.

Heutzutage setzen viele Anwaltssoftwareanbieter auf eine monatliche Nutzungspauschale, die während der Nutzungsdauer permanent anfällt. Dadurch erhöhen sich die Kosten. Diese Dauerschuldverhältnisse sind erst in den letzten Jahren als Einnahmequelle von den Anbietern entdeckt worden. Vorreiter sind hier Microsoft mit den Office-Programmen und z. B. Adobe mit dem zwischenzeitlich nur noch als Cloud-Version verfügbaren Acrobat DC (nicht zu verwechseln mit dem immer noch kostenlosen Acrobat Reader).

Entscheidend sind weniger die Anschaffungs-, sondern vielmehr die Folgekosten, die durch die Softwarenutzung entstehen. Hier kommt, berücksichtigt man das gesamte Berufsleben, schon eine beträchtliche Summe zusammen. Daher ist es wichtig, dass die Anwaltssoftware umfassend von allen in der Kanzlei tätigen Personen genutzt wird.

Dies gilt auch bei der Überlegung, ob man noch die klassische Variante mit einer eigenen Hardwarestruktur oder die Cloud-Lösung bevorzugt.

Ist ein Umstieg sinnvoll?

„Statistisch kommt eine Ehescheidung häufiger vor als der Wechsel der Anwaltssoftware im Laufe eines langjährigen Berufslebens.“ Diese Aussage in der 1. Auflage der Sonderausgabe „Die Wahl der ersten Anwaltssoftware und wie man sie effizient nutzt“ ist immer noch aktuell.

Angesichts der immer näher rückenden aktiven Nutzungspflicht für das beA und der derzeit noch oft vorkommenden „hybriden“ Arbeitsweise mit Papierakte und PC ist gerade jetzt der richtige Zeitpunkt, um über einen Wechsel nachzudenken.

Stellen Sie sich die Frage: „Wie lange wollen/müssen Sie noch arbeiten?“ Wenn dieser Lebensabschnitt noch mehr als drei Jahre dauern wird, sollten Sie über einen Umstieg nachdenken, wenn Sie feststellen, dass die Arbeitsabläufe mit der bisherigen Anwaltssoftware nicht optimal funktionieren oder die Bedienerfreundlichkeit zu wünschen übrig lässt.

Kaufen oder mieten?

Beim Ein- oder Umstieg in die Cloud gibt es keine Alternative. Am Abo-Modell führt bei der Cloud kein Weg vorbei. Also ist auch dieser Gesichtspunkt für oder gegen die Entscheidung zur Cloud mit zu berücksichtigen. Bei den klassischen Varianten mit einer On-Premise-Lösung besteht in der Regel eine Wahlmöglichkeit. Stellen Sie dann auf die voraussichtliche Nutzungszeit der Software ab, um eine Vergleichbarkeit herzustellen.

Kollisionsprüfung nutzen

Je größer die Kanzlei, desto wichtiger ist es, vor der Mandatsannahme – also weit vor der Anlage der Akte in der Anwaltssoftware – zu prüfen, ob eine Kollision vorliegt. Im Idealfall wäre die Telefonanlage mit der Anwaltssoftware verbunden, sodass direkt beim Erkennen der Telefonnummer angezeigt wird, mit welchen Akten der Anrufer schon im System vorhanden ist. Immer vorausgesetzt, der Anrufer überträgt seine Rufnummer.

Oder Ihre Kanzlei ist schon so innovativ wie die Anwaltskanzlei der Kollegin aus Österreich, Dr. Eva Maria Baumgartner, M.B.A., „Woman of Legal Tech 2018“ (ausgezeichnet wurden Frauen, die durch ihre Tätigkeiten im deutschen, österreichischen und schweizerischen Raum den Bereich Legal Tech geprägt und gestaltet haben). Sie berichtete mir im Interview, dass es in ihrer Kanzlei kein Festnetztelefon mehr gäbe und alle Mitarbeiter mit Smartphones arbeiteten. Dann muss auch hier gewährleistet sein, dass die Kollisionsprüfung manuell durchgeführt wird.

Musterformulare nutzen

Je mehr Daten vorliegen, desto besser kann eine Verknüpfung der Daten gelingen. Auch Kanzleien, die ohne Anwaltssoftware arbeiten, nutzen immer wiederkehrende Texte, um die Arbeit zu vereinfachen. Aber erst mit der passenden Anwaltssoftware wird daraus ein „Workflow“, also ein Ablauf, der mehr oder weniger automatisiert erfolgen kann.

Beispiel: Nehmen wir ein klassisches Mandat in einer Verkehrsunfallsache. Der Mandant kommt (im Idealfall, bevor ihn ein Anruf der gegnerischen Haftpflichtversicherung erreicht, die ihn am Anwaltsbesuch hindern will) und erteilt Ihnen den Auftrag, seinen Sachschaden und weitere Ansprüche, wie Nutzungsausfall, ggf. Schmerzensgeld und Haushaltsführungsschaden, geltend zu machen. Im Zuge des Gesprächs und der Unterlagen stellt sich heraus, dass ggf. Ermittlungen gegen den Mandanten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis eingeleitet werden.

Es handelt sich also um zwei unterschiedliche Aufträge und es sind somit zwei Akten anzulegen. Zum einen der zivilrechtliche Anspruch und zum anderen die Vertretung in der Ermittlungssache. Für beide Akten kann der einmal angelegte Datensatz des Mandanten verwendet werden. Für die Vertretung in der Unfallsache können Mustertexte genutzt werden, in die sämtliche bekannten Daten automatisiert übernommen werden, den entsprechend vorhandenen Mustertext vorausgesetzt. Für die strafrechtliche Vertretung kann automatisiert Akteneinsicht beantragt und ein Vorschuss angefordert werden. In der Anwaltssoftware sind auch die Rahmengebühren der Nr. 4100 ff. VV RVG hinterlegt, sofern nicht eine Vergütungsvereinbarung zum Tragen kommt.

Diese Arbeitsabläufe können so standardisiert werden, dass so wenig wie möglich individueller Sachverhalt eingegeben werden muss. Wer davon ausgeht, dass er in dieser Angelegenheit ohnehin klagen muss, könnte die Anspruchsbegründung schon so formulieren, dass sie auch für eine etwaige Klage genutzt werden kann.

Beispiele lassen sich für viele Rechtsgebiete und Fallkonstellationen finden. Daraus entsteht dann „Legal Tech“, das mittels einer großen Datenmenge und einem möglichst gleichbleibenden Sachverhalt (z. B. Fluggastentschädigung, Mietendeckel oder Abmahnverfahren), ggf. mithilfe von KI, die entsprechenden Musterformulare automatisiert erstellt. Die menschliche Mitarbeit beschränkt sich auf Kontrolle, Unterschrift und Versand.

Vorteile für die Nutzung durch den Anwalt

Bei der Marktübersicht der Arbeitsgemeinschaft Kanzleimanagement wurde festgestellt, dass dem Thema Controlling mehr und mehr Raum gegeben wird. Allerdings wurden gravierende Unterschiede in der Handhabung festgestellt.

Eine Anwaltssoftware mit integrierter Buchhaltung und Zeiterfassung bietet für den Anwalt den Vorteil, direkt auf einen Blick zu erkennen, ob sich das Mandat wirtschaftlich führen lässt. Eine saubere Offene-Posten-Liste offenbart, wie viele Außenstände die Kanzlei hat. Die Lösung kann die Einführung eines eigenen Mahnwesens sein, sodass offene Forderungen gar nicht auf die lange Bank geschoben werden.

In Zeiten der Personalknappheit kann der Anwalt auch ohne qualifiziertes Personal sein Anwaltscockpit so gestalten, dass er effizient seine Arbeit erledigt und ggf. auch Teile der Arbeit outsourct. So gibt es externe Rechtsanwaltsfachangestellte als selbständige Dienstleister, die Schriftverkehr, Buchhaltung, Gebührenabrechnungen, Mahnverfahren oder Zwangsvollstreckung entweder inhouse oder auch per Fernzugriff erledigen und damit den Anwalt entlasten.